„Sorgearbeit ist die Grundlage unserer Gesellschaft“
Wie wird Sorgearbeit bei uns, wie im Globalen Süden wahrgenommen?
Care-Arbeit ist bei uns im Globalen Norden einer der größten Wirtschaftszweige, denn sie reicht von Gymnasiallehrer:innen bis zur Putzfrau und es mangelt überall an Menschen, die diese Arbeiten leisten. Die Auswirkungen von fehlender Sorgearbeit sind im Globalen Süden allerdings noch eklatanter spürbar als bei uns. Im Haushalt bleibt sie unsichtbar, außerhäuslich wird sie unter sehr prekären Verhältnissen informell und illegal verrichtet. Sie wird dort noch viel weniger wahrgenommen und wertgeschätzt, obwohl sie so essenziell für Gesellschaft und Wirtschaft ist. Bezahlte Care-Arbeit wird abgewertet, Lehrer:innen und Krankenpfleger:innen erhalten beispielsweise wenig Lohn, können zum Teil von ihrem Gehalt nicht leben.
Wieso ist die Care-Arbeit ein so wichtiger Teil der Entwicklungsarbeit?
Egal, ob im Globalen Norden oder im Globalen Süden: Sorgearbeit ist die Grundlage unserer Gesellschaft, die Grundvoraussetzung dafür, dass alles andere überhaupt funktionieren kann. Der Großteil der Care-Arbeit wird von Frauen getragen. Wenn sie es nicht mehr schaffen, diese zu leisten, zerfällt alles. Solange sie noch neben ihren einkommensschaffenden Tätigkeiten die häusliche Sorgearbeit erledigen, ist aber ein Minimum an Zusammenhalt gewährleistet. Deshalb ist es für jede Entwicklungsarbeit so wichtig, genau hier anzusetzen. Es ist wesentlich, dass die Frauen gestärkt werden – und das kann keine Frau für sich allein tun. Sorgearbeit ist Arbeit füreinander und miteinander. Voraussetzung, dass sich etwas verändert ist, dass Frauen sich zusammenschließen.
Haben wir im globalen Norden eine Sorgekrise?
Ja, eindeutig. Es zeigt sich durch die Pandemie, dass diese auch schon vorher da war. Die Sorgearbeit wurde in ihrer Dimension und Bedeutung in keiner Weise gesehen. Weder von der Politik noch von der Gesellschaft oder gar den Frauen selbst.
Wir versuchen diese bei uns zu lösen, indem wir vom Ausland Pflegekräfte „absaugen“, zum Beispiel von Osteuropa, aber auch von den Philippinen.
Ja, genau. Die Philippinen sind ein Land, wo der größte Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt die Einkünfte der „overseas workers“ („Arbeiter:innen im Ausland“) sind, also vorrangig der Krankenschwestern oder Pfleger:innen im Ausland. Wir in Österreich saugen vor allem Pflegekräfte aus Osteuropa ab. Jene, die zu uns kommen, hinterlassen aber zu Hause wiederum Kinder, Pflegebedürftige usw. ohne Betreuung. Durch unsere Sorgekrise lösen wir woanders ebenfalls ein Manko aus.
© Mag.a Christine Buchinger im Gespräch mit Edeltraud Novy. Das Interview wurde dem Familienfasttagsmagazin 01/2022 entnommen.
Edeltraud Novy, Erwachsenenbildnerin, Bloggerin, langjährige stellvertretende Vorsitzende der kfb sowie früheres Vorstandsmitglied von FAIRTRADE Österreich