Superheldinnen ohne Rechte: Zur Rolle von Frauen im globalen Ernährungssystem
Global gesehen, wird das Recht auf angemessene und gesunde Ernährung millionenfach verletzt: Den rund 821 Millionen Hungernden wird ihr Menschenrecht ebenso verwehrt wie jenen über 2 Milliarden Menschen, die mangelernährt sind. Allein rund 1,4 Milliarden Frauen und Mädchen sind nicht ausreichend mit Nährstoffen versorgt, insbesondere im ländlichen Raum. Gesundheitliche Folgen beinhalten Blindheit, Muskelschwäche und Komplikationen bei Schwangerschaften.
Die gesundheitliche Vulnerabilität beschränkt wiederum Bildungs-, Arbeits- und Partizipationsmöglichkeiten für Kinder und Mütter. Betroffene Frauen und Mädchen sind somit in einem generationsübergreifenden Kreislauf aus Diskriminierung, Armut, Mangel und Perspektivlosigkeit „gefangen“. Die damit verbundenen Einschränkungen, sind nicht nur physisch erlebbar. Schwer messbar und daher oft unterschätzt ist die psychosoziale Dimension von Ernährung: Essen ist Ausdruck eines sozialen Prozesses mit dem Ziel, sich fit, gesund und wohl zu fühlen. Dieses körperliche Wohlbefinden ist die Grundlage für unser gesamtes Tun und Voraussetzung dafür, sich um sich selbst und andere gut kümmern sowie an der Gemeinschaft teilhaben zu können. Hungernde und Mangelernährte werden dieser grundlegenden Möglichkeiten beraubt.
Viele Aufgaben - wenige Ressourcen
Die spezifische Betroffenheit von Frauen wird vor allem durch ihre Rolle im patriarchal geprägten System bedingt: Als Verantwortliche für die Versorgung der Familie übernehmen sie den Großteil der unbezahlten Aufgaben – insbesondere in den ländlichen Gebieten des Globalen Südens. Die Frauen versorgen Kinder und alte oder kranke Angehörige, leisten schwere körperliche Arbeit am Feld, holen oft von weit her Wasser und übernehmen in vielen Fällen auch Erwerbsarbeit. Kommt es zu Ernteausfällen – und diese werden aufgrund des Klimawandels immer häufiger – sind es die Frauen, die diese Krisen meistern. Auf ihren Schultern lastet der Druck, ihre Familien vor Hunger zu bewahren.
Diese tragende Rolle von Frauen steht in krassem Widerspruch zu ihren Rechten: Ihr Zugang zu Produktionsmitteln wie Land, Saatgut, aber auch Krediten und Bildung ist stark eingeschränkt. Rund 90 Prozent der weltweiten Ackerflächen sind im Besitz von Männern. Dabei sind in Asien etwa sechs von zehn, in Afrika sogar acht von zehn der in der Landwirtschaft beschäftigten Menschen Frauen. Das heißt, Frauen arbeiten überwiegend auf Land, über das sie keine Entscheidungsmacht haben.
Agrarindustrie diskriminiert Frauen
Hier zeigt sich der Zusammenhang zwischen patriarchaler und kapitalistischer Ausbeutung. Der Fokus des agrarindustriellen Modells auf technologische Mittel und Lösungen, vernachlässigt nicht nur die strukturellen Ursachen für Hunger und Mangelernährung; er fördert tendenziell auch Männer. Ohne eigenem Einkommen fehlt Frauen oft das Geld für den Kauf von teuren Maschinen, Saatgut, Pestiziden und Düngemitteln. Zudem wird ihnen aufgrund geschlechterbasierter Zuschreibungen in Bezug auf technische Innovationen und High-Tech, die Anwendung agroindustrieller Methoden häufig verwehrt. So schädlich diese Produktionsweise für unsere Ernährung, Gesundheit und Umwelt langfristig auch ist – die Tatsache, dass Frauen von diesem dominanten Modell landwirtschaftlicher Produktion weitgehend ausgeschlossen sind, schränkt ihre Autonomie noch weiter ein.
Die drastischen Auswirkungen des Einsatzes von Agrochemie hingegen werden wiederum von den Frauen kompensiert, etwa wenn es darum geht, durch Herbizide oder Pestizide Erkrankte zu pflegen. Sorge-Arbeit ist „Frauensache“ – ebenso wie das Anlegen von Küchengärten oder kleiner Ackerflächen, welche die alltägliche Versorgung auch in Krisenzeiten sicherstellen. Das ist ein globales Phänomen. In unserer Gesellschaft ist die Natur weiblich konnotiert, während Produktion, Wirtschaft, Technologie und damit auch das agroindustrielle Modell als männlich gelten. Das patriarchale wie das kapitalistische System basieren auf genau dieser Grundannahme: Die Körper(-kraft) der Frauen und die Natur selbst werden als „weiblich“ betrachtet und damit entwertet – als bloße Ressourcen, die den vermeintlich höheren und „maskulinen“ Zielen von Produktion und Profit zu dienen haben. Nur aufgrund dieser Ausbeutung ist es möglich, den Status quo und das scheinbare Funktionieren unseres lebenszerstörenden Wirtschaftssystems aufrecht zu erhalten.
Vorsicht vor Fokus auf Versorgerinnenrolle
Die politische Diskussion greift all diese Facetten nicht auf. Zwar wird die entscheidende Rolle von Frauen im Kampf gegen Hunger und Armut betont. Meist führt das aber zu frauenzentrierten Ansätzen, die deren Rolle als Versorgerinnen ins Zentrum stellen. Damit wird den Frauen die Verantwortung aufgebürdet, neben ihren alltäglichen Aufgaben nun auch noch „die Welt zu retten“ und somit die strukturelle Ungleichstellung und einseitige Lastenverteilung weiter einzementiert. Es braucht daher Lösungen, die tiefer gehen und bestehende Machtstrukturen in Frage stellen: jene zwischen Markt und Natur, Konzern und Kleinbäuer:in und jene zwischen Mann und Frau. Es gilt patriarchale und kapitalistische Muster auszuhebeln, Frauenrechte zu stärken, Männer in die Pflicht zu nehmen und ökologisch nachhaltige Landwirtschaft zu fördern. Agrarökologische Alternativen, die bereits überall auf der Welt umgesetzt werden, versuchen und schaffen genau das: eine Transformation der agrarindustriellen Landwirtschaft hin zu einer kleinteiligen Produktionsweise, die Mensch, Tier und Umwelt respektiert und Begegnungen auf Augenhöhe ermöglicht.
© Melanie Oßberger, FIAN Österreich. Der Artikel wurde dem Bildungsbehelf 2020 entnommen und leicht gekürzt.